Wahre Geschichten oder gut erfundene

Myriam Mathys
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8. Oktober 2025
2025 10 08 schreiben kaffeetasse auf dem tisch im cafe

Ganz spontan hatte ich mich für einen Kurs zum Thema «Autobiografisches Schreiben» angemeldet. Warum eigentlich? Irgendwie ging mir schon lange durch den Kopf, dass ich die vielen interessanten Erfahrungen, die ich in Management und Beratung im Laufe der Zeit gemacht habe, «irgendwann mal» zu einem Buch verarbeiten sollte. Aber ich hatte dies mangels Zeit immer vor mir hergeschoben.
Bis es gefühlt zu spät war: Denn seit kurzem gibt es Autor:innen, die doch sage und schreibe zwei bis drei Managementbücher pro Jahr publizieren. Überzeuge mich mal jemand davon, dass diese nicht vor allem KI-formuliert sind! Und dieser Gedanke hat mir irgendwie die Lust an meinem Projekt genommen, bevor ich überhaupt damit angefangen habe. Was KI aber nicht kann, das sind meine selbst erlebten Gefühle, meine ganz persönlichen Erfahrungen an meiner statt zu schreiben. Als ich die Kurs-Ausschreibung sah, ging mir deshalb durch den Kopf, dass es ja nicht schaden könnte, meine beruflichen Erfahrungen, die als lebendige Erinnerungen in meinem Kopf rumschwirren, einfach mal schreibend festzuhalten, damit ich sie nicht vergesse.

Doch das war viel zu kurz gedacht… – Es ist ein sehr anregender Kurs, den Hildegard und Christoph (www.maulhelden.ch) in Zürich anbieten!  Wir nähern uns individuell über verschiedene Zugänge einzelnen Episoden aus unserem Leben, die für uns eine besondere Bedeutung haben. Es ist sehr spannend zu erleben, dass es neben all den Geschichten, an die ich mich gut erinnere, noch viel mehr gibt, was da irgendwo abrufbereit in meinem Gedächtnis lagert. Und es ist geradezu faszinierend festzustellen, was passiert, wenn man an einem Erinnerungsfetzen zieht und versucht sich schreiben wieder in die damalige Situation hineinzuversetzen. Wie aus dem Nichts erscheinen andere Gedankensplitter. So viele, dass ich mich gar nicht allen gleichzeitig widmen kann. Also schreibe ich parallel, alles, was mir an Gedanken sonst noch in den Kopf kommt, in ein Notizheft. Und dieses füllt sich schneller als die einzelnen Textseiten. Unglaublich! Ich bin gespannt, was aus alledem noch werden wird…

Aber ist das, woran wir uns erinnern, überhaupt «wahr»? – Ich wusste zwar, dass unser Gedächtnis sich selektiv erinnert und sich offenbar auch Erinnerungen «schönredet». Aber als ich kürzlich bei einem Gespräch mit meinem älteren Bruder festgestellt habe, wie unterschiedlich wir eine bestimmte Begebenheit in Erinnerung haben, war ich dennoch perplex: wir hatten aus derselben Geschichte zwei völlig unterschiedliche, ja sich gar widersprechende Geschichten gemacht. Und jede:r von uns war sicher, dass seine/ihre Version stimmt.

Ich habe kürzlich ein Interview mit dem Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff gesehen und fand es sehr erhellend. Er erzählte über das Schreiben, und wie ihm immer wieder bewusst wurde, wie vieles von früher er vergessen hat. Aber indem er sich schreibend vorstellt, wie es hätte gewesen sein können, drängen sich die Erinnerungen manchmal plötzlich glasklar zurück ins Bewusstsein. Wenn auch nicht immer. Deshalb vermischten sich in seinem autobiografischen Schreiben also Fiktion und «Wahrheit».
Spannender Gedanke, dass auch erfundene Geschichten, die genau so hätten stattfinden können, einen wichtigen Platz einnehmen können, um die Persönlichkeit eines Portagonisten oder einer Protagonistin präzise darstellen zu können oder die Quintessenz bestimmter Geschehnisse zu verdeutlichen. Sein autobiografisch geprägter Roman «Man kann auch in die Höhe fallen» (2024) fühlt sich jedenfalls sehr stimmig an – und ich kann lesend das eine vom anderen nicht unterscheiden.

 Wie man auf Italienisch so schön sagt: «Si non e vero, e ben trovato», was bedeutet, dass es, falls es denn nicht wahr sein sollte, so doch zumindest gut erfunden ist. Und gute Geschichten, die Wahrheiten transportieren können, egal ob sie nun wirklich wahr oder erfunden sind, braucht es heute mehr denn je!

Herzliche Grüsse,

Myriam

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